Was mit Disziplin alles möglich ist

Von Gunnar Steinbach
Schönau/Attendorn. Eigentlich war alles schon vorbei, bevor es richtig angefangen hatte. 2002 wurde Carina Augstein aus der Konrad-Adenauer-Hauptschule in Wenden mit dem 10a-Abschluss und guten Wünschen ins Leben entlassen, schrieb 200 Bewerbungen und blieb ohne Ausbildungsplatz. Heute hat sie das Abitur so gut wie in der Tasche und hofft, Medizin studieren zu können.


Eine außergewöhnliche Entwicklung, wenn man bedenkt, dass die Schönauerin 2002 eigentlich ins Elektrohandwerk wollte, weil sie das von ihrem Bruder Christian kannte: „Ich fand das toll: Leitungen verlegen, Steckdosen einbauen – alles, was mit Licht zu tun hatte, faszinierte mich.“
Aber die Aussichten auf einen Ausbildungsplatz waren katastrophal, wie ihr schnell klar wurde, deshalb die 200 Bewerbungen: „Ich wollte arbeiten und Geld verdienen, irgendwann war mir auch egal, was, ich habe mich als Frisöse, im Kfz-Bereich, als Hotelfachfrau und sonst wo beworben.“ Ergebnis: Null.
Ohne Lehrstelle blieb nur ein Berufsgrundschuljahr, das sie in Altenhundem machte, aber nicht abschließen konnte, da sie nach einem Praktikum 13 Wochen den Arm in Gips hatte und deshalb nicht genug praktische Stunden nachweisen konnte.
Verbessert hatten sich ihre Berufsaussichten im Jahr 2003 also auch nicht – eher im Gegenteil. Was blieb, war eine weitere Qualifikation, der Realschulabschluss.
Aus der WESTFALENPOST erfuhr Carina Augstein, dass das Abendgymnasium Attendorn einen Realschulzweig in Olpe hat, wurde angenommnen und schaffte den Abschluss innerhalb eines Jahres: „Ich habe mich dann bei Gran Dorado als Fachangestellte für Bäderbetriebe be-
kannte man das Bademeister, aber auch da hatte ich keine Chance. Zwar hat man mir gesagt, dass ich mich 2005 wieder bewerben könnte, aber kurzfristig war nichts zu machen.“
Dann gab es die vielleicht entscheidende Wende: Nicht ganz „schuldlos“ waren daran auch ihre Lehrer, die sie motiviert haben: „Mach weiter, haben sie gesagt, du hast das drauf, du kannst das schaffen.“
Mit „das schaffen“ meinten sie das Abitur und das Attendorner Abendgymnasium. Die Entscheidung fiel ihr leichter, als sie erfuhr, dass das Abendgymnasium auch eine so genannte Kollegstufe anbietet. Der Unterricht für die Kollegiaten beginnt bereits am Nachmittag, sie haben also mehr Fächer, bekommen dafür aber auch Bafög.
Drei Jahre dauerte es bis zum Abitur, und dass sie nichts geschenkt bekam, merkte sie ungefähr in der Hälfte. Zunächst habe sie eine Arbeitshaltung an den Tag gelegt, die auch dafür verantwortlich war, dass sie die Hauptschule mit dem 10a- und nicht mit dem 10b-Abschluss verlassen hat. „Aber so ging das nicht“, erinnert sie sich, „ich bin ganz schön abgerutscht.“
Und dann? Was hat sich geändert? „Disziplin, ich musste lernen und zwar mit Disziplin, das war eigentlich schon alles.“ Die letzte mündliche Prüfung hat Carina Augstein am 21. Mai. Danach will sie studieren, am liebsten Medizin in Münster. Sollte das nicht klappen, Lehramt für Mathematik und Physik. Mathematik-Lehrer werden händeringend gesucht. Außerdem könnte sie außer über Formeln und Zahlen noch über etwas anderes reden: über die Wirkung von Disziplin.