Wo die Kinder zu Mördern werden

rudi Wenden. ‚Ihr wisst gar nicht, wie gut es euch hier geht“: Diesen Satz dürften die Schülerinnen, und Schüler des achten Jahrgangs der Wendener Hauptschule seit Freitag einmal mehr beherzigen. Im Rahmen der von mehreren Hilfsorganisationen initiierten Aktion ‚Volltreffer: Auf Tore schießen statt auf Menschen – kein Krieg mit Kindern“ und in Zusammenarbeit mit ‚Missio“ hatte Lehrkraft Cordula Bukowski Pater Josef Gerner geladen, der über seine Arbeit im Norden Ugandas informierte.


Mehr als zehn Jahre ist der deutsche Missionar nunmehr in dem Bürgerkriegsgebiet tätig und erlebt hautnah dessen Maschinerie, die vor allem mittels so genannter Kindersoldaten funktioniert. Eben dieser nimmt sich Pater Josef Gerner an und berichtete in Wenden ausführlich über seine Erlebnisse als Beichtvater der Kindersoldaten. ‚Ich möchte euch mitnehmen in eine sehr harte Realität“, bereitete Pater Josef Gerner die Jugendlichen der Wendener Hauptschule auf seine Ausführungen vor. In der Tat rüttelten die Schilderungen des Missionars auf – auch durch seine unzensierte Darstellungsweise. Obwohl jeder der Schüler im Vorfeld bereits eine Vorstellung vom Schicksal der Kindersoldaten gehabt haben dürfte, schien der Bericht des Geistlichen sie nachdrücklich zu beeindrucken – nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass die Kindersoldaten oft sogar jünger als sie selbst sind. Pater Gerner berichtete über Schicksale einzelner Kinder und Familien, die er im Laufe seiner Tätigkeit in Uganda erlebte, und führte den Schülern die Unmenschlichkeit des Krieges vor Augen. Ergreifend und schockierend zugleich stellten sich nicht nur die Schilderungen über ‚das Werben“ der Kindersoldaten dar – zumeist überfallen die Rebellen nämlich über Nacht Dörfer, um die Kinder zu entführen und dann für ihre Zwecke zu missbrauchen – ebenso erschütterten die Darstellungen der psychischen Situation der jungen Opfer und ihrer Familien. ‚Die wenigen, die aus dem Krieg zurückkehren, zumeist durch eine riskante Flucht – sind oftmals derart von den schrecklichen Erlebnissen gezeichnet, dass sie nur, schwer wieder zurück in ein für ihre Verhältnisse normales Leben finden.

Durchweg tragen die Kinder derartige Verletzungen körperlicher und seelischer Natur davon, dass sie traumatisiert und gänzlich verstört sind. Dem Bürgerkrieg in Uganda liegt nämlich vor allem ein System der Einschüchterung und der Instrumentalisierung durch seelischen Druck zugrunde: Die Kinder werden dazu gezwungen, Menschen auf grausamste Weise umzubringen oder zu foltern, um ihr eigenes Leben zu retten. Unschuldige werden verstümmelt und ganze Dörfer niedergemetzelt, um ein abschreckendes Zeugnis dafür abzulegen, was dem angetan wird, der die gegnerische Seite sympathisiert. Menschenleben nehmen dabei einen weit niedrigeren Stellenwert ein als Gewehrkugeln – auch oder vor allem die Kinder. Sie werden entführt und gezielt manipuliert. Gelingt dies nicht oder werden sie aufgrund einer instabilen Gesundheit zur Belastung, werden sie umgehend umgebracht. Obwohl man in so genannten Auffanglagern alles daran setzt, den betroffenen Kindern zu helfen, steht man der Situation oft hilflos gegenüber. Auch am Beispiel seiner eigenen Pfarrgemeinde wusste Pater Gerner davon zu berichten, dass geringe Mittel als auch die hohe Anzahl der zu betreuenden Kinder und Jugendlichen es oft unmöglich machen, einer angemessenen Hilfe gerecht zu werden. Eine Einzeltherapie etwa, wie sie vonnöten wäre, um die Erlebnisse des Krieges zu verarbeiten, ist unmöglich.

Die Misere, der die Kinder ausgeliefert sind, beginnt bei der familiären Situation: So wollen die einen nach ihrem Einsatz in Rebellengruppen aus Angst vor einer erneuten Entführung nicht wieder zu ihren Familien zurück. Die anderen werden von ihren Eltern verstoßen, weil diese die Taten ihrer Kinder nicht ertragen können oder sogar fürchten, in Folge der Kriegstraumatisierung von ihnen getötet zu werden. Auch Ereignisse dieser Art gehörten in den Bürgerkriegsgebieten nämlich durchaus zum Alltag, so Gerner.

Ebenso trage die Haltung der Regierung, zu dem ‚Teufelskreis“ bei: Sie schützt die Kinder nicht vor den Rebellen, wohl aber behandelt sie diese nach einer Entführung als Rebellen – oftmals werden die Kinder somit durch Regierungshand getötet. Es sei zudem ein offenes Geheimnis, dass auch die Regierung sich des Instruments der Kindersoldaten bediene und die Bevölkerung darüber hinaus bewusst ‚abhängig“ halte, um sie für ihre Zwecke abzustellen. Um so mehr appellierte Gerner an die Allgemeinheit, jedoch vor allem an Politik und Hilfsorganisationen, genau zu verfolgen, welche- Verwendung Spendengelder finden. Oftmals kämen diese nämlich längst nicht dort an, wo sie dringend benötigt würden. In Wenden zumindest traf er mit seinem Vortrag und mit seinen Anliegen auf offene Ohren. Die Schüler zeigten sich derart ergriffen, dass sie schon bald eine Unterschriftenaktion organisieren möchten.