Nazi-Parolen im Eisenbahntunnel

Rothemühle. (gus) „Ich möchte meine Schüler auf dieses Relikt unserer dunklen Vergangenheit aufmerksam machen und sie motivieren, darüber nachzudenken, wie wir damit umgehen.“ Jürgen Borchers, Lehrer an der Hauptschule Wenden, machte sich am Dienstag nachmittag mit einem Teil der Klasse 10.4 auf den Weg nach Rothemühle. Sein Ziel: Ein Tunnel an der alten Bahnlinie. Der Grund: Seit 60 Jahren werben dort zwei Schriftzüge für die Ziele Adolf Hitlers.

Jürgen Borchers glaubt, daß die Propagandaschriften im Jahr 1938 in die Bahnunterführung gepinselt ,worden. sind. Denn offensichtlich zielen sie auf eine Volksbefragung.

Auf der einen Wand steht: „Was will Adolf HitlerSchüler“ „Freiheit und Gleichberechtigung“ Auf der Wand gegenüber ist zu lesen: „Was will Adolf Hitler von DirSchüler“, „Stimme mit Ja“

Während „Was will Adolf Hitler von DirSchüler Stimme mit Ja“ noch gut zu lesen ist, ist die Schrift auf der gegenüberliegenden Seite fast völlig verwittert und erfordert Ausdauer bei dem Versuch, sie zu entziffern.


Nach Ansicht Borchers müssen sich die Nazi-Parolen auf die Volksbefragung 1938 beziehen: „In einer Parlamentswahl macht es keinen Sinn, mit „Ja“ zu stimmen. Das war nur bei den Volksabstimmungen möglich.“

Die Nazis ließen nach der Reichstagswahl 1933 drei Volksabstimmungen durchführen. Die erste (1933)

Wollte die Zustimmung zum Austritt aus dem Völkerbund, die zweite (1934) beschäftigte sich mit der Vereinigung der トmter des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers und bei der dritten ging es um den Anschluß Österreichs an Deutschland (Zustimmung 99 Prozent).

Im Gespräch mit den Schülern ging es Borchers nicht um die Klärung der Frage, wie es möglich sein konnte, daß Nazi-Parolen 60 Jahre lang in einer Eisenbahnunterführung überdauern konnten: „Obwohl das schon sehr seltsam ist, denn der Tunnel liegt auf dem Verbindungsweg zwischen Römershagen und Heid.“

Vielmehr sollen sich seine Schüler im Unterricht die Frage stellen, wie mit dem Überbleibsel der Nazi-Diktatur umgegangen werden soll: Borchers: „Sollen die Schriften getilgt werdenSchüler Sollte man sie unbeachtet lassen, oder sollte man sie vielleicht restaurieren und kommentierenSchüler“

Für Wendens Bürgermeister Peter Brüser, der sehr überrascht auf die Nachricht aus dem Tunnel reagierte, ist die Frage, was mit den Parolen geschehen soll, kein Thema für Diskussionen: „Streng genommen müßte ich den Eigentümer des Tunnels, die Bahn AG, fragen, ob wir das beseitigen dürfen. Aber ich glaube, das kann ich mir schenken. Das muß weg.“