Hans Günter Kraus: Schülertheater gegen Rechtsradikalismus

Entstehung und Anlaß

In den Jahren 1990 – 1991 war in der Gemeinde Wenden sowie im gesamten Landkreis Olpe, also im direkten Umfeld der Schule, eine besorgniserregende Zunahme rechtsextremer Aktivitäten zu beobachten. Zu dieser rechtsextremen Personengruppe zählten u. a. auch ehemalige Schüler der in der Gemeinde ansässigen weiterführenden Schulen (Hauptschule und Realschule). Diese wiederum hatten seinerzeit gute Kontakte zu den Schülerinnen und Schülern und versuchten, in der Schülerschaft Anhänger und Mitläufer zu werben.

Nachdem auf dem Schulgelände Aufkleber rechtsradikalen Inhalts und Hakenkreuzschmierereien und Hetzparolen auf dem Schulhof und am Schulgebäude vorgefunden wurden, fand zu Beginn des Schuljahres -1991/92 ein Gespräch statt, an dem die Schulleitungen, Schülervertretungen und Vertrauenslehrer der beiden Schulen sowie politische Vertreter der Gemeinde Wenden, Vertreter des Kreisjugendamtes, der Bereitschaftspolizei und der Kriminalpolizei teilnahmen. Es wurden Möglichkeiten diskutiert, in welcher Form die Schulen ihre Verantwortung wahrnehmen und rechtsradikalen Entwicklungen entgegenwirken könnten.


In diesem Zusammenhang wurde ich als Leiter einer Theatergruppe und Gabriele Becker als Leiterin der Tanzgruppe gebeten, ein Konzept für ein eventuell gemeinsames Bühnenprojekt zum Thema „Rechtsradikalismus“ zu entwickeln, da man sich an den Erfolg einer anderen TheaterTanz-Kooperation im Schuljahr zuvor mit einem Stück zum Thema „Vorurteile gegen Ausländer“ erinnerte, das mehrfach außerhalb der Schule aufgeführt worden war.

Im November 1991 fand in Zusammenarbeit mit Referenten des Kreisjugendamtes und der Kriminalpolizei ein dreitägiges Seminar für diese neu formierte Gruppe statt, das Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern den notwendigen sachlichinformativen Hintergrund für die Erarbeitung eines Bühnenprojektes vermittelte.

Während des Seminars wurde allen Beteiligten klar, daß das Thema so vielschichtig ist, daß eine Folge unabhängiger Szenen die geeignetste Darstellungsform für die dramaturgische Aufbereitung sein müßte.

In jeweils zwei Wochenstunden fanden anschließend im Unterricht viele Vorgespräche und Diskussionen statt. Es wurde u. a. beraten und festgelegt, welche Schwerpunkte tänzerisch und welche spielerisch aufgearbeitet werden sollten. Während die Tanzgruppe die tänzerischen Elemente des Projektes erarbeitete, legte die Theatergruppe in Gruppenarbeit den Handlungsrahmen für die einzelnen Spielszenen fest. Nach den Vorgaben dieser Gruppenarbeit schrieb ich als Spielleiter der Theatergruppe die Dialoge der fünf Spielszenen. Sowie eine Spielszene fertiggestellt war, wurden die Rollen verteilt. Lese- und Sprechproben schlössen sich an. Rollen mußten in Hausaufgabe gelernt werden.

Ab Oktober 1992 probten die beiden Gruppen je nach Bedarf, teils getrennt, teils gemeinsam. Letzter Schritt war die Zusammenstellung der Spiel- und Tanzszenen, die Herstellung des Kulissenelementes, die Beschaffung von Requisiten und Kostümen. Die Premiere fand am 11.03.1993 um 19.30 Uhr in der Aula des Schulzentrums Wenden vor etwa 200 geladenen Gästen statt.

Auftritte

Angesichts der rechtsradikalen Verbrechen vielerorts wuchs die Motivation der Gruppe, ein Projekt auf die Beine zu stellen, das beim Zuschauer zumindest einen Denkprozeß auslöst Auch die Probenarbeit wurde von der Idee beflügelt: „Wir müssen im Bereich unserer Möglichkeiten etwas tun“. Die Hoffnungen der Gruppe (und ihrer beiden Leiter) auf ein allgemeines Interesse haben sich bereits erfüllt. Zahlreiche Auftritte in Schulen und Einrichtungen sind teilweise schon fest terminiert.

Schon in der Planung ging die Gruppe mit Ausstattung, Kulisse und Requisiten sehr sparsam um, um für auswärtige Aufführungen mobil zu sein. Der ganze Bedarf ist so konzipiert, daß er problemlos in einem Reisebus mitzuführen ist.

Intention

Hauptanliegen des Stückes ist, rechtsextremes Gedankengut als solches offenzulegen und zu verdeutlichen. Dabei wird weitgehend vermieden, Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus nur an bestimmten Personengruppen wie Skinheads festzumachen. Vielmehr soll aufgezeigt werden, daß viele mehr oder weniger bedachte トußerungen und Anschauungen des „Normalbürgers“ den Boden bereiten, auf dem Rechtsradikalismus gedeihen kann. „Bundeskristallnacht“ soll dem Zuschauer einen Spiegel vorhalten, in dem er sich selbst erkennt und durchschaut. Es soll zeigen, wie viele Ideen Hitlers und seiner Helfershelfer noch in den Köpfen der Menschen umherspuken. Es sind halt nicht nur die wenigen Rechtsextremen, die öffentlich durch Gewalt in Erscheinung treten. Der Zuschauer soll in sich gehen und erkennen, daß er selbst in Einzelfragen möglicherweise gefährlich weit „rechts“ denkt, spricht und handelt. Der provozierende Titel des Stückes und die Überzeichnung in einzelnen Szenen sollen warnen, wohin die Entwicklung verlaufen kann, wenn sich nicht jeder mit seinem Weltbild auseinandersetzt und nur scheinheilig auf gewalttätige Minderheiten verweist. In „Bundeskristallnacht“ sind Rechtsextreme oft nicht durch ihr Erscheinungsbild, sondern nach und nach durch ihre トußerungen und Verhaltensformen auszumachen. Das Stück will keine Antworten und fertige Rezepte liefern, sondern viele Fragen aufwerfen, die sich der Zuschauer in der Reflexion des Stückes selbst beantworten muß. Es fordert weniger auf, sondern beschreibt im wesentlichen existierende und mögliche Realitäten. „Bundeskristallnacht“ ist ein Stück von Schülern, aber nicht nur für Schüler.

(exaktes Datum nicht bekannt!)