Premiere von „Bundeskristallnacht“ gelungen

Wenden. Eine grandiose Premiere des Theaterstücks „Bundeskristallnacht“ erlebten gestern abend zahlreiche Gäste in der Aula des Schulzentrums. Auf eindrucksvolle Weise hielten die Mitglieder der Theater und Tanzgruppe hinsichtlich rechtsradikaler Tendenzen dem Publikum einen Spiegel vor: Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus scheinen kein „Privileg“ der Nachwuchsnazis zu sein, Exzesse und Ausschreitungen wie in der Reichskristallnacht 1938, auf die der Titel des Theaterstücks anspielt, scheinen auch heute nicht unmöglich.

Gerade unter Jugendlichen hat sich nach Auffassung der Akteure rechtes Gedankengut stark ausgebreitet. Grund genug, sich auf ihre Verantwortung zu besinnen und nach Möglichkeiten zu suchen, um rechtsradikalen Entwicklungen entgegenzuwirken. Laut Elmar Düweke, stellv. Schulleiter, fiel Mitte 1991 der Entschluß, sich mit dem brisanten Thema in Form eines von Schülern und Lehrern gemeinsam zu erarbeitenden Bühnenprojekts auseinanderzusetzen.


Gabriele Becker als Leiterin der Tanzgruppe und Hans-Georg Kraus, zuständig für die Theaterarbeit, begannen im November 1991 mit ihren Schülern, sich in die Thematik einzuarbeiten. Am Anfang der eineinhalbjährigen Vorbereitungsphase stand für die Zehntkläßler mit dem Wahlach Theater/Tanz und ihre Lehrer ein Seminarwochenende in Arnsberg. In Zusammenarbeit mit Referenten der Kriminalpolizei und des Jugendamts verschafften sie sich zunächst das nötige sachlich-informative Hintergrundwissen (die SZ berichtete).

Zehn Kernaussagen

Die Erkenntnisse des Wochenendes wurden zu zehn Kernaussagen verdichtet, die die Schwerpunkte der einzelnen Spiel- und Tanzszenen bilden sollten. Die enorme Eigeninitiative der Jugendlichen zeigte, wie sensibel sie für das Thema sind und wie sehr ihnen die Problematik unter die Haut geht. Sie waren mit Eifer bei der Sache, steuerten eigene Beobachtungen bei. Erlebnisse aus dem Erfahrungsbereich der Schüler wurden diskutiert und flössen mit in die von Hans-

Georg Kraus geschriebenen Dialoge ein. Als diese Ende 1992 schließlich fertig waren, ging es in die „heiße“ Phase. Die Proben fanden ebenso wie die Erarbeitung des Stücks in den Unterrichtsstunden statt.

Fatalen Zusammenhang verdeutlicht

Daß sich das Ergebnis sehen lassen kann, bewiesen die 26 Schüler gestern abend bei der Premiere „ihres“ Stücks. In den zehn Szenen gelang es ihnen eindrucksvoll, rechtsextremes Gedankengut zu verdeutlichen. Sie zeigten auf, daß erst die schweigende Zustimmung der „Normalbürger“ bzw. deren mehr oder weniger bedachten ausländerfeindlichen トußerungen den Boden bereiten, auf dem Rechtsextremismus gedeihen kann. Die Zuschauer waren aufgefordert, sich an die eigene Nasenspitze zu fassen und den fatalen Zusammenhang zwischen eigenem „harmlosen rechten“ Gedankengut und den Gewalttaten gegen Ausländer zu durchschauen. Um diese Ziele zu erreichen, nutzten die Aktiven alle zu Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten vom Schwarzlicht bis zur musikalischen Untermalung.

Charaktere glaubhaft dargestellt

Vor allem beeindruckten die schauspielerischen Leistungen der Jugendlichen. Sie stellten die unterschiedlichen Charaktere überaus glaubhaft dar. Dabei griffen sie Argumente auf, die in der öffentlichen Diskussion fast täglich zu hören sind. In künstlerischer Übersteigerung und aufgrund der überzeugenden Darstellung der Akteure wurde den Zuschauern die Lächerlichkeit und Absurdität vieler dieser Argumente und Vorurteile vor Augen geführt. Wenn beispielsweise der Vater seine Tochter „Bimbo Flittchen“ nennt, weil deren Freund Schwarzer ist, wenn die Mutter erklärt „daß Gott schon gewußt habe, warum er die Menschen verschieden (farbig) erschaffen habe“, dann reizt das im ersten Moment zu Lachen. Im zweiten Augenblick aber erkennt der Zuschauer, daß derartige Vorurteile – zumindest unterschwellig oder unbewußt – sehr wohl existieren. In einer andren Szene wird deutlich, daß die Menschen den wahren Charakter ihrer Ansichten – „Ordnung soll sein“, „Deutschland den Deutschen“ und „den Ausländerfreundichen geschieht es recht, wenn sie eine Tracht Prügel von den ‚richtigen Deutschen‘ beziehen“ – oft nicht wahrhaben wollen.

Sehr gelungen waren auch die tänzerischen Darbietungen. Pantomimisch verdeutlicht wurde beispielsweise die Suche orientierungsloser Jugendlicher nach einem starken Führer. Wie sich ein Haufen gelangweilter Jugendlicher durch das Erscheinen eines Anführers plötzlich in eine geordnete Schar willig folgender Untertanen verwandelt, war schon sehenswert.

Auswirkungen auf den Alltag

Im Gespräch mit den jungen Schauspielern zeigte sich, daß diese sich mit der Problematik des Stücks während der Arbeit sehr intensiv beschäftigt haben. Eine 16jährige Akteurin meinte beispielsweise, daß sie nun viel eher „mal etwas sagen würde“ wenn sie im Alltag eine ausländerfeindliche Bemerkung höre. Eine Mitschülerin pflichtete ihr stellvertretend für viele andere bei, gab andererseits aber zu, daß sie auch Angst habe. Und eine ausländische Schauspielerin bekannte gegenüber der SZ, daß sie zwar noch nicht tätlich angegriffen worden sei aber doch öfters ein mulmiges Gefühl habe und diskriminierende Bemerkungen durchaus schon zu hören bekommen habe.

Den Jugendlichen, das wurde überdeutlich, ist ihre Arbeit sehr wichtig geworden. Um so mehr freuten sie sich über Szenenapplaus und den reichlichen Beifall am Ende der gelungenen Aufführung. Es bleibt nur zu hoffen, daß die Gruppe weitere Möglichkeiten erhält, ihre Inszenierung auch auf anderen Bühnen vorzustellen. Nicht nur im heimischen Raum sollte zum Nachdenke und zu Diskussionen angeregt werden. Nur so kann das Ziel der Schüler, aufzurütteln und etwas zu bewegen, erreicht werden.